WALSERWANDERUNG
Traject Binn - Val Formazza - Bosco/Gurin

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Das Obere Binntal

AUF DEN SPUREN DER WALSER

Eine Wanderung mit viel geschichtlichem Hintergrund, die aufblühende und wieder zuwachsende Kulturen nahebringt, die frühere Völkerwanderungen und -vertreibungen wiederaufleben lässt und durch genutzte und ausgenutzte Landschaften führt. Eine Wanderung auch, bei der politische Grenzen überschritten und gleichzeitig deren begrenzte Bedeutung aufgezeigt wird.

Was die Walser dazu getrieben (oder gelockt) hat, ihre angestammte Heimat im Obergoms und in den Vispertälern zu verlassen, kann nicht endgültig beantwortet werden. Fest steht, dass dieses Volk im Laufe des 12., 13. und 14. Jahrhunderts eine Vielzahl hochalpiner Kolonien gegründet hat. Dort, wo andere Kulturen mit ihren Techniken an Höhe und Klima gescheitert waren, liessen sich die Walser nieder: Macugnaga, das Pomatt, Bosco/Gurin, der Rheinwald, das Avers, Vals, das Safiental, Davos und das Vorarlbergische Klein-Walsertal sind einige der Marschhalte, die sich die Walser auf ihrem Weg von Westen nach Osten gönnten.

Manches aus dieser Kultur hat sich bis ins 20. Jahrhundert gerettet, angefangen bei der Sprache, die sehr stark an das Walliserdeutsch erinnert, oder dem tiefen katholischen Glauben, der diesem Volk half, die körperlichen Strapazen der Bergwelt zu verkraften. Ebenso erkennt man Walserdörfer heute noch an der typischen Siedlungsform und Bauweise, die allerdings in vielen Regionen den lokalen Gegebnheiten angepasst wurde.

1. ETAPPE

Binn (1400 m) - Binntalhütte (2269 m).
Aufstieg 900 m, 4 Stunden.

Den Einstieg in die Welt der Walser finden wir im Binntal, inmitten einer besonders intakten Umgebung: 1985 erhielten die Binner für ihren Respekt gegenüber der eigenen Umwelt den Landschaftsschutz-Preis und 1991 noch den Schweizerischen Heimatschutz-Preis. Und es handelt sich um eine wahrlich preiswerte Landschaft. Kleinere und grössere Seitentäler, das versteckte, parallel zum Haupttal verlaufende Rappetal, imposante Gipfel wie Helsen-, Ofen- und Hohsandhorn, eine weltbekannte Mineralienfundstelle in Lengenbach und weitere Perlen, die auf ihre oder Ihre Entdeckung warten.

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Binn
Unsere Wanderung führt von Binn (1400 m) zunächst nach Fäld, einem gut erhaltenen Weiler mit traditionellen Holzbauten. Danach folgt man einer Alperschliessungsstrasse bis zur Freichi und weiter zur Steihitta. Hier zweigt der Weg nach rechts ab und taucht in eine faszinierende Landschaft ein, die über das Oxefeld zur Binntalhütte führt. Etwa vier Stunden nimmt der Weg von Binn zur Binntalhütte in Anspruch, und so bleibt genügend Zeit zum Geniessen. Besonders bei feuchtem Wetter oder Nebel ist der Aufstieg durch diese Moorlandschaft ein Erlebnis, das man nicht so schnell vergisst - als ich dieses Stück Natur zum ersten Mal sah, war mir augenblicklich klar, wieso mein in Binn zur Welt gekommener Vater derart von seinen frühen Sommererlebnissen auf diesen Alpen schwärmte. Seither weiss ich, dass alte Jugenderinnerungen nicht immer übertrieben sind.

Wie könnte es anders sein, auch die Binntalhütte (2267 m) ist etwas Besonderes. Trotz guter Auslastung wird sie nicht von einer Hüttenwartin oder einem Hüttenwart, sondern von Mitgliedern der SAC-Sektion Delémont geführt, die sich im Turnus abwechseln, meistens eine Woche oben bleiben und daselbst für gute Stimmung sorgen.

2. ETAPPE

Binntalhütte (2267 m) - Scatta Minoia (2599 m) - Zumstäg (1286 m).
Aufstieg 500 m, Abstieg 1500 m, 6 bis 7 Stunden.

Heute stehen mehrere Wander-Varianten offen, die alle zuerst über den wichtigen Walserübergang, den Albrunpass (2409 m), führen. Dahinter öffnet sich eine völlig überraschende Landschaft, zuerst nur andeutungsweise, dann allmählich in ihrer ganzen Grösse und Schönheit: Wir stehen vor der Alpe Dèvero, die 1990 den Status eines italienischen Nationalparks erhielt. Zusammen mit dem 1978 gegründeten, gegen Süden anschliessenden Nationalpark Alpe Veglia bildet sie das italienische Pendant zum Binntal, das sich bereits 1964 unter weitgehenden Schutz gestellt hatte. Ausführlich beschrieben sind diese zwei Alpen im Clubführer der Walliser Alpen (Band 6) von Maurice Brandt. Für diejenigen, die zur Alpe Dèvero absteigen (von der Binntalhütte knappe 3 Stunden), besteht in Crampiolo (1767 m) oberhalb von Dèvero eine sehr empfehlenswerte Übernachtungsmöglichkeit.

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Albrunpass 2409m
Unser Weg, der stellenweise fast keiner mehr ist und bei Nebel etwas Orientierungssinn erfordert, führt ohne nennenswerte Höhenverluste und zuletzt über eine steile Mulde zur Scatta Minoia (2599 m) - einem Sattel, der vor allem bei Wind nicht ganz so schön wie sein Name ist, für solche Fälle aber das einfache Rifugio Ettore Conti vom SEO/CAI Domodossola bereithält. Anschliessend geht es nur noch bergab, und bald sieht man auf den Lago Vannino hinunter, dessen Farbe immer wieder zum Staunen bringt. Schneller als erwartet sitzen wir am Seeufer vor dem Rifugio Margaroli (2194 m), ein halbvolles Glas in der Hand, schauen hinauf zur Scatta Minoia und denken etwas mitleidig an diejenigen, die den Walserweg in umgekehrter (d. h. steil ansteigender) Richtung unter die Füsse nehmen. Aber nur, weil wir die nächste Etappe nach Bosco/Gurin noch nicht erblickt haben. Die Margaroli Hütte bietet sich für die Übernachtung geradezu an, doch es lässt sich am gleichen Tag bis ins Haupttal weiterwandern.

Eine Hochspannungsleitung weist uns den Weg zum Sagersboden (1772 m). Als der Walliser Schriftsteller Maurice Chappaz die «Zuhälter des ewigen Schnees» geisselte und zum Fortschritt trocken anmerkte: «On va vers une sorte de fin du monde industriellement utile», dachte er in erster Linie an die Vergewaltigung der Landschaft durch die Wasserwirtschaft, doch hier erhalten seine Gedanken eine neue Qualität. Im Pomatt brachte die Stromgewinnung nicht nur eine Landschaftveränderung, sondern auch eine Strasse, eine fremde Mentalität und letztlich den Niedergang der alten Walserkultur.

Aus dem Pomatt, der vielleicht ersten Walsersiedlung ausserhalb der heutigen Schweizer Grenzen, wurde das Val Formazza, ein Tal, das zwar nicht wie das Binntal von der Auswanderung bedroht ist, dies aber mit dem Verlust seiner Tradition und kulturellen Iden-tität bezahlen musste. Nicht, dass dies eine im Alpenraum besondere Entwicklung wäre, sie ist wohl eher die Regel, doch an diesem Beispiel sieht man die kulturelle Angleichung besonders deutlich, da gleichzeitig auch eine Sprachbarriere durchbrochen wurde. Es gibt aber Leute, die sich dagegen wehren. Anna Maria Bacher, Schriftstellerin, Lehrerin und sozusagen die Walser Seele im Tal, steht zusammen mit einigen weiteren Pomatterinnen und Pomattern für den Willen, als Walser nicht endgültig von der Geschichte vergessen zu werden.

Beim Sagersboden erreichen wir den alten Sessellift, auf der Karte noch eingezeichnet, doch schon lange am Dahinrosten. Es bestehen Pläne, die Anlage wieder auf Vordermann zu bringen und ganzjährig zu betreiben. Soviel Zeit haben wir nicht und steigen deswegen zu Fuss nach Zumstäg/Ponte ab, teilweise noch an alten Auffangnetzen vorbei, die uns daran erinnern, dass man hier bis vor einigen Jahren im Winter noch auf Pistenskiern hinuntergeflitzt ist. Sechs Marschstunden nach unserem Aufbruch sind wir in Zumstäg (Ponte, 1286 m). Einige alte Holzbauten erinnern an die Zeit der Walser, alles andere eher an ein typisches italienisches Bergtal.

3. ETAPPE

Zumstäg (1286 m) - Guriner Furka (2323 m) - Bosco/Gurin (1503 m).
Aufstieg 1200 m, Abstieg 1000 m, 4 bis 5 Stunden.
Bergweg, Abzweigung zur Guriner Furka nicht verpassen!

Die letzte Etappe führt uns auf die Guriner Furka und hinunter zur Grossalp, wieder auf den Spuren der Walser, die bereits vor über 750 Jahren Bosco/Gurin gegründet haben - zu einer Zeit, als es die Schweiz noch gar nicht gab. Von Zumstäg steigen wir nach Stafelwald oder Fondovalle ab, und nach einem kurzen Rundgang durch das Dorf heisst es, tief Luft holen und nicht zu forsch die nächste Etappe angehen. Denn nun gilt es, 1200 steile Höhenmeter zu bewältigen, zuerst durch einen schönen Wald, dann über offene Hänge und Alpweiden und schliesslich, dort wo der Hauptweg in Richtung Hendar Furggu steigt, rechts abbiegend und etwas pfadfinderisches Gespür verlangend, bis zur Guriner Furka (2323 m). Plötzlich zeigt sich das Panorama der steilen Tessiner Bergwelt, doch auf dem Pass lohnt sich auch ein Blick zurück. Im kleinen Bergsee erblicken wir zum letzten Mal und vielleicht in ihrer schönsten Ausprägung die Bergkulisse, die uns drei Tage lang begleitet hat: Helsenhorn, Pizzo Cervandone, Ofenhorn, die Grenzgipfel zwischen Binntal und Formazza.

Der Abstieg geht fast von alleine. Nach zwei, drei Stolperern sind wir auf der Grossalp, die eine landläufige Vorstellung Lügen straft, wonach alle Walserbauten aus Holz zu sein hätten. Schöne Alpgebäude und Ställe aus einheimischem Gneis und Granit erheben sich plötzlich vor unseren Augen, der einzige Holzbau ist die Capanna Grossalp. Nach der obligaten und wohlverdienten Rast steigen wir in einer knappen Stunde nach Bosco/Gurin hinunter, der einzigen Walsersiedlung des Tessins (obwohl Elemente der walserischer Architektur auch in anderen Gegenden der Schweiz vorkommen, so im Val Bedretto, auf den Monti di Rima bei Broglio, in Cimalmotto und im Val Malvaglia). Ein Spaziergang durch das Dorf wird uns drei Tage zurückversetzen, genauer, ins Binntal. Dieselben Häuser, dieselbe Siedlungsform, mit Glück auch fast dieselbe Sprache. Aber eben, nur mit Glück, denn seit geraumer Zeit ist auch hier das alemannische «Tiitsch» am Verschwinden, ersetzt durch das romanische «Dialett». Die Grenzen zwischen zwei traditionsreichen Bergkulturen sind durchlässig geworden, aus Gurin wird allmählich Bosco. Auch hier spricht die Zeit!


ALLGEMEINE INFORMATIONEN:

ANREISE UND RÜCKREISE
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Bosco/Gurin

Mit der Furka-Oberalp-Bahn nach Fiesch (Fahrplanfeld [610]), von dort mit dem Postauto nach Binn [610.15]. An der Postautostrecke Fiesch - Binn liegt das schön(gelegen)e Dorf Ernen, das unbedingt einen Abstecher Wert ist.

Von Bosco/Gurin führt das Postauto nach Cevio [630.65], von dort mit dem Bus nach Locarno [630.60].

AUSRÜSTUNG:

Diese Wanderung führt über alpine Pässe, man muss sich also mit guten Wanderschuhen und warmen Kleidern ausrüsten.

UNTERKUNFTSMÖGLICHKEITEN

- Verkehrsverein Binn: Tel. 27/971 45 47
- Hotel Ofenhorn: Tel. 027/971 45 45
- Hotel Albrun: Tel. 027/971 45 82
- Binntalhütte (im Sommer bewirtet) Tel. 027/971 47 97
- Rifugio Ettore Conti (2599 m, offene Schutzhütte auf der Scatta Minoia)
- Rifugio Eugenio Margaroli (2194 m, am Lago Vannino) Tel. 0324/63 155 oder 63 054
- Verkehrsverein Zumstäg (Formazza/ Pomatt): Tel. 0324/63 059
- Albergo Edelweiss: Tel. 0324/63 033
- Albergo Rotenthal: Tel 0324/63 060
- Albergo Brunni Montmartre: Tel. 0324/63 114
- Capanna Grossalp (1901 m, im Sommer bewirtet): Tel. 091/754 16 80 oder 091/826 17 61
- Verkehrsverein (Ente Turistico Vallemaggia): Tel. 091/753 18 85
- Walserhaus: Tel. 091/754 18 19 oder 091/754 14 81
- Hotel Edelweiss: Tel. 091/754 12 45
- Albergo Basodino in Cevio: Tel. 091/ 75411 01

KARTEN UND FÜHRER:

- SLK 1:25.000, Blatt 1270 Sinntal
- SLK 1:25.000, Blatt 1271 Basodino
- SLK 1:25.000, Blatt 1291 Bosco/Gurin
- SLK 1:25.000, Blatt 1291 Helsenhorn für den Abstecher nach Crampiolo
- M.Brandt, SAC-Clubführer Walliser Alpen, Band 6
- G.Brenna, SAC-Clubführer Tessiner Alpen, Band 1
- U. Bauer und J. Frischknecht, Grenzschlängeln, Zürich 1995
- H. Schmid, Ossola Täler München 1995

LITERATUR

Zu den Walsern gibt es eine grosse Auswahl an Literatur:
- B. P. Zinsli, Walser Volkstum, Chur 1991
- K. Wanner, Unterwegs auf Walserpfaden, Chur 1993
- E. Rizzi, Geschichte der Walser Chur 1993
- G. Trego, Der grosse Walserweg, Oldenburg 1993;
- P. Donatsch, Geschichte vom Leben zwischen den Bergen, Chur 1994
- J. Schwanz, Th. Schüpbach und A. Gorsatt, Das Binntal und seine Mineralien, Binn 1994.



Lange Afstand Wandelvereniging "VIA-VIA".

Gegenereerd op 12-02-2002 door C.P.J. Aerssens